Deposit Licence: Ist die Erlaubnis für die Konvertierung in andere Formate wirklich nötig?

Liebe Kolleg:innen,

wir überarbeiten gerade den Text für die Einverständniserklärung, die Autor:innen abgeben müssen, um auf unserem Repositorium zu veröffentlichen (Deposit Licence). Dabei orientieren wir uns natürlich an den Anforderungen des DINI-Zertifikats 2022. Nun stolpere ich über folgende Mindestanforderung für Erstveröffentlichungen:

M.4-5 Das Recht zum Erstellen von Kopien und zur Konvertierung in andere elektronische oder physische Formate zum Zwecke der Archivierung unter Wahrung der inhaltlichen Integrität.
• Eine Konvertierung kann beispielsweise notwendig werden, wenn verwendete Datenformate obsolet werden und von aktuellen Präsentationsprogrammen nicht mehr korrekt angezeigt werden können.

Ich frage mich, ob dieser Punkt wirklich vertraglich geregelt werden muss. Mir scheint es, als ob durch § 23 Abs. 3 UrhG in Verbindung mit § 60e Absatz 1 UrhG schon eine gesetzliche Erlaubnis für genau diesen Anwendungsfall vorliegt.

In § 60e heißt es: Bibliotheken „dürfen ein Werk aus ihrem Bestand … für Zwecke der Zugänglichmachung [und] … Erhaltung vervielfältigen […], auch […] mit technisch bedingten Änderungen“.

Und § 23 stellt klar, dass auf „ausschließlich technisch bedingte Änderungen eines Werkes bei Nutzungen nach […] § 60e Absatz 1“ die Absätze 1 und 2 des § 23 nicht anzuwenden sind, also die Herstellung bzw. Veröffentlichung der Bearbeitung keiner Erlaubnis bedarf.

Sind Sie auch der Meinung, dass sich aus den beiden Stellen im UrhG eine allgemeine Erlaubnis für Bibliotheken ergibt, Werke auf ihrem Publikationsserver in andere Formate zu überführen, um sie zugänglich zu halten und langfristig zu archivieren? Wenn das so ist, warum fordert die DINI-AG E-Pub diese Erlaubnis zusätzlich in der Deposit Licence?

Ich bin gespannt auf Ihre Gedanken und Hinweise zu dem Thema.

Herzliche Grüße
Stephan Wünsche

Lieber Herr Wünsche,
die meisten Dokumentenserver werden von Bibliotheken betrieben, die brauchen diese Regelung unter Umständen nicht. Da bin ich gespannt auf die Antworten der Expert:innen, weil auch wir damit unsere Deposit Licences vereinfachen könnten.

Aber das DINI-Zertifikat ist nach meinem Wissen agnostisch gegenüber dem Betreiber eines Dokumentenservers. Es könnte also auch eine Nicht-Bibliothek die Erstveröffentlichung verantworten, die sich dann nicht auf die o.g. Passagen des UrhG berufen kann. Vielleicht deshalb diese ausdrückliche Empfehlung?

Viele Grüße
Margo Bargheer

Liebe Frau Bargheer,

danke für den wichtigen Hinweis! Sie haben Recht, das DINI-Zertifikat richtet sich nicht ausschließlich an Bibliotheken. Damit ist der zweite Teil meiner Frage beantwortet.

Ich hoffe, es traut sich noch jemand an den ersten Teil: Können Bibliotheken auf diese Erlaubnis in ihrer Deposit Licence verzichten?

Viele Grüße
Stephan Wünsche

Lieber Herr Wünsche, ich würde aus gründen daran festhalten:

1.: Die Rechtslage im UrhG ändert sich gern alle paar Jahre mal, da bin ich lieber auf der sicheren Seite.
2.: Mir sind keine negativen Erfahrungen bekannt, das ist keine Regelung,die Nutzende stört.

Viele Grüße,
Gerald Jagusch
ULB Darmstadt

Liebe Kolleg:innen,

eine Kollegin vermutete, dass sich die Formulierung „aus ihrem Bestand“ aus §60e Abs. 1 UrhG sich nur auf den Printbestand einer Bibliothek bezieht. Das ist aber der gängigen Auslegung gemäß nicht der Fall. So schreibt etwa Amin Talke mit Bezug auf den Regierungsentwurf zum UrhWissG (Bibliothekserlaubnisse im Urheberrecht, 2021, S. 67):

Mit „Bestand“ ist nicht nur der rein physische Bibliotheksbestand gemeint, sondern darüber hinaus „auch elektronische Bestände, zu denen die Bibliothek auf Basis von Nutzungsverträgen mit Inhalteanbietern ihren Nutzern den Zugang gewähren darf.“ Damit ist klargestellt, dass sich alle Befugnisse der Bibliotheken nach § 60e auch auf deren online-Ressourcen beziehen.

Auch zu den Werken auf dem eigenen Repositorium darf die Bibliothek auf Basis von Nutzungsverträgen ihren Nutzern (und nicht nur diesen) den Zugang gewähren – also denke ich, dass der „Bestand“ auch die Werke auf dem eigenen Repositorium umfasst. Deutlich in diese Richtung weisen auch Talkes Erläuterungen zum Zweck der „Erhaltung“ (S. 69–70, wieder mit Zitaten aus dem Regierungsentwurf):

„Zwecke der Erhaltung“ betreffen eine „umfassende Bestandssicherung. Darunter fällt insbesondere die Langzeitarchivierung von analogen und digitalen Beständen der öffentlich zugänglichen Bibliothek“. Weil für die Langzeitarchivierung eine Vielzahl von Kopien erforderlich sein kann, z. B. um die betreffenden Dateien jeweils in andere, länger haltbare, Formate zu migrieren, ist klargestellt, dass auch mehrfache und technisch bedingte Änderungen erlaubt sind. Das soll auch Kopien von Kopien einschließen […]. Dementsprechend ist in § 23 UrhG nun klargestellt, dass technisch bedingte Änderungen in diesem Sinne nicht als Bearbeitung und Umgestaltung gelten und somit auch nach dieser Norm keiner Zustimmung des Rechteinhabers bedürfen.

Können Sie sich der Auslegung anschließen, dass die Dokumente auf dem Repositorium zum „Bestand“ der Bibliothek gemäß §60e Abs. 1 UrhG gehören?

Herzliche Grüße,
Stephan Wünsche

Falls noch jemanden interessiert, wie die Geschichte ausging:

Das Justiziariat unserer Universität hat sich meiner Auffassung angeschlossen und ist all meinen in diesem Thread genannten Argumenten gefolgt. Demnach ist die Erlaubnis zur Konvertierung in andere Formate im geschilderten Kontext nicht notwendig.

Die Kolleginnen haben trotzdem dazu geraten, einen entsprechenden Passus in der Deposit Licence zu belassen, zum Zwecke der Aufklärung der Autor:innen. Sie haben ferner darauf hingewiesen, dass es nicht abschließend geklärt ist, ob man in so einem Vertrag auch erlauben könnte, dass die Bibliothek dabei gegen technische Schutzmaßnahmen vorgeht (vgl. § 95b Abs. 3 UrhG). Aber da wir ohnehin keine DRM-geschützten Dokumente annehmen, ist diese Frage für uns eher theoretischer Natur.

Viele Grüße
Stephan Wünsche

2 „Gefällt mir“